Deine aktuelle Situation kann beschrieben werden als "Innere Wahrheit" und transformiert sich in "Die Auflösung".
Vor Dir liegt "der Wind", dieses Element repräsentiert Durchdringung und Geschäfte. Hinter Dir liegt "der See" - dieses Element transformiert sich in "das Wasser". Das bedeutet, dass Heiterkeit, Freude und Anziehungskraft umgewandelt wird in Gefahr, das Unbekannte, eingestellte Aktivität.
Die Situation
61. Dschung Fu - Innere Wahrheit Oben (vorne): Sun - das Sanfte (der Wind) Unten (hinten): Dui - das Heitere (der See)
Kommentar von Richard Wilhelm:
Über dem See weht der Wind und bewegt die Oberfläche des Wassers. So zeigen sich sichtbare Wirkungen des Unsichtbaren. Das Zeichen besteht oben und unten aus festen Strichen, während es in der Mitte frei ist. Das deutet auf die Freiheit des Herzens von Voreingenommenheiten, so daß es Fähig ist zur Aufnahme der Wahrheit. Die beiden Teilzeichen haben umgekehrt in der Mitte einen festen Strich. Das deutet auf die Kraft der inneren Wahrheit in ihren Wirkungen.
Die Eigenschaften der Teilzeichen sind: oben Sanftheit, Nachgiebigkeit gegen die Unteren, unten Fröhlichkeit im Gehorsam gegen die Oberen. Solche Zustände schaffen die Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens, das Erfolge ermöglicht.
Das Zeichen Fu (Wahrheit) ist eigentlich das Bild eines Vogelfußes über einem Jungen. Es enthält die Idee des Brütens. Das Ei ist hohl. Die Kraft des Lichten muß belebend von außen wirken. Aber es muß doch schon ein Keim des Lebens im Innern sein, damit das Leben geweckt werden kann. Es lassen sich weitgehende Spekulationen an diese Gedanken knüpfen.
Das Urteil für die aktuelle Situation
Innere Wahrheit. Schweine und Fische. Heil ! Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren. Fördernd ist Beharrlichkeit.
Kommentar von Richard Wilhelm:
Schweine und Fische sind die ungeistigsten und daher am schwersten zu beeinflussenden Tiere. Die Kraft der inneren Wahrheit muß einen hohen Grad erreicht haben, ehe sich ihr Einfluß auch auf solche Wesen erstreckt. Wenn man solchen widerspenstigen, schwer zu beeinflussenden Menschen gegenübersteht, beruht das ganze Geheimnis des Erfolgs darauf, daß man den richtigen Weg findet, um Zugang zu ihnen zu finden. Man muß sich erst innerlich ganz frei machen von seinen Voreingenommenheiten. Man muß sozusagen die Psyche des andern ganz unbefangen auf sich wirken lassen; dann kommt man ihm innerlich nah, versteht ihn und bekommt Macht über ihn, so daß die Kraft der eigenen Person durch die geöffnete Pforte Einfluß auf den andern gewinnt. Wenn man so keine Hindernisse unüberwindlich findet, dann mag man auch die gefährlichsten Dinge unternehmenwie das Durchqueren des großen Wassers -, und es wird gelingen. Nur ist es wichtig, daß man versteht, worauf die Kraft innerer Wahrheit beruht. Sie ist nicht identisch mit einfacher Intimität oder geheimem Zusammenhalten. Solch intimes Zusammenhalten kann auch unter Räubern stattfinden. Auch in diesem Fal1 bedeutet es freilich eine Kraft. Aber sie gereicht nicht zum Heil, weil sie nicht unüberwindlich ist. Alles Zusammengehen auf Grund von Interessengemeinschaft geht nur bis an einen gewissen Punkt. Wo die Interessengemeinschaft aufhört, hört auch das Zusammenhalten auf, und intimste Freundschaft schlägt oft in Haß um. Nur wo die Grundlage das Rechte, die Beständigkeit ist, bleibt die Verbindung so fest, daß sie alles überwindet.
Das Bild der aktuellen Situation
Über dem See ist der Wind: das Bild der inneren Wahrheit. So bespricht der Edle die Strafsachen, um Hinrichtungen aufzuhalten.
Kommentar von Richard Wilhelm:
Der Wind bewegt das Wasser, weil er in seine Zwischenräume einzudringen vermag. So sucht der Edle, wo er Fehler der Menschen abzuurteilen hat, in ihr Inneres verständnisvoll einzudringen und dadurch eine liebevolle Beurteilung der Umstände zu gewinnen. Die ganze antike Rechtsprechung der Chinesen war von diesem Grundsatz geleitet. Höchstes Verständnis, das zu verzeihen versteht, galt als höchste Gerechtigkeit. Eine solche Rechtsprechung war nicht erfolglos; denn der moralische Eindruck sollte so stark sein, daß ein Mißbrauch solcher Milde nicht zu befürchten war. Denn sie entsprang nicht der Schwäche, sondern überlegener Klarheit.
Interpretation der veränderlichen Linien
Line 1: Bereitsein bringt Heil. Sind Hintergedanken da, so ist das beunruhigend.
Kommentar von Richard Wilhelm:
Die Hauptsache für die Kraft innerer Wahrheit ist, daß man in sich gefestigt und bereit ist. Aus dieser inneren Haltung entspringt das richtige Verhalten zur Außenwelt. Wenn man dagegen geheime Beziehungen besonderer Art pflegen wollte, so würde einen das um die innere Selbständigkeit bringen, und je mehr man sich gesichert fühlte in dem Bewußtsein, in andern seinen Rückhalt zu finden, desto mehr käme man in Unruhe und Sorgen, ob nun auch diese geheimen Verbindungen wirklich haltbar sind. Dadurch verliert man den inneren Frieden und die Kraft innerer Wahrheit.
Die Zukunft
59. Huan - Die Auflösung Oben (vorne): Sun - das Sanfte (der Wind) Unten (hinten): Kan - das Abgründige (das Wasser)
Kommentar von Richard Wilhelm:
Der Wind, der oben über das Wasser fährt, zerstreut es und löst es auf in Schaum und Dunst. Darin liegt auch der Gedanke, daß die Lebensenergie, wenn sie sich im Menschen staut (was durch die Eigenschaft des unteren Zeichens als Gefahr angedeutet ist) durch die Sanftheit wieder zerstreut und aufgelöst wird.
Das Urteil für die Zukunft
Die Auflösung. Gelingen. Der König naht seinem Tempel. Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren. Fördernd ist Beharrlichkeit.
Kommentar von Richard Wilhelm:
Das Zeichen hat in seinem Text Ähnlichkeit mit dem Zeichen Tsui, Die Sammlung« (Nr. 45). Dort handelt es sich um Sammlung des Getrennten, wie das Wasser sich in Seen auf der Erde sammelt. Hier handelt es sich um Zerstreuung und Auflösung des trennenden Egoismus. Das Zeichen »die Auflösung« zeigt sozusagen den Weg, der zur Sammlung führt. Daher erklärt sich die Ähnlichkeit des Textes.
Zur Überwindung des trennenden Egoismus der Menschen bedarf es der religiösen Kräfte. Die gemeinsame Feier der großen Opferfeste und Gottesdienste, die zugleich den Zusammenhang und die soziale Gliederung von Familie und Staat zum Ausdruck brachten, war das Mittel, das die großen Herrscher anwandten, um die Herzen in gemeinsamer Wallung des Gefühls durch heilige Musik und Pracht der Zeremonien zum Bewußtsein des gemeinsamen Ursprungs al1er Wesen zu bringen, wodurch die Trennung überwunden, die Erstarrung aufgelöst wurde. Ein weiteres Mittel ist das Zusammenwirken an gemeinsamen großen Unternehmungen, die dem Willen ein großes Ziel vorhalten und in der Richtung auf dieses Ziel alles Trennende auflösen, wie in einem Schiff, das einen großen Strom durchquert, alle Insassen sich in der gemeinsamen Arbeit einigen müssen.
Zu solcher Auflösung der Härte des Egoismus ist aber nur jemand fähig, der selbst von allen egoistischen Nebengedanken frei in Gerechtigkeit und Beständigkeit verharrt.
Das Bild der Zukunft
Der Wind fährt über das Wasser: das Bild der Auflösung. So opferten die alten Könige dem Herrn und bauten Tempel.
Kommentar von Richard Wilhelm:
Das Wasser beginnt im Herbst und Winter zu erstarren und zu Eis zu gefrieren. Wenn die milden Lüfte des Frühlings kommen, löst sich die Erstartung, und das in Eisschollen Zerstreute vereinigt sich wieder. So ist es auch mit dem Sinn des Volkes. Durch Harte und Selbstsucht erstarrt das Herz, und in dieser Erstartung trennt es sich von allem andern. Egoismus und Habsucht isolieren die Menschen. Darum muß eine fromme Rührung das Menschenherz ergreifen. Es muß gelöst werden in heiligen Schauern der Ewigkeit, die es erschüttern durch die Ahnung des gemeinsamen Schöpfers aller Wesen und einigen durch die Macht der Gemeinschaftsgefühle bei der heiligen Feier der Anbetung des Göttlichen.